Biografie
Als Susanne Radermacher 1911 als Tochter des Universitätsprofessors und Altphilologen Ludwig Radermacher und seiner Frau Luise Ottilie Seeck in Wien geboren wurde, war noch nicht absehbar, was für ein spannendes und ereignisreiches Leben sie haben würde. Die Familie war 1909 aus Deutschland nach Wien übersiedelt, nachdem Ludwig Radermacher als ordentlicher Professor für Klassische Philologie Nachfolger von Theodor Gomperz geworden war. Sie wuchs in einer Villa im vornehmen 18. Wiener Gemeindebezirk Währing auf. In einem akademischen Umfeld groß geworden, entschied auch sie sich für ein Studium. Da die Familie Adolf Loos zum engeren Freundeskreis der Familie zählte, könnte diese Verbindung mit Susanne Radermachers Berufswunsch in Zusammenhang stehen.
Zu Beginn studierte sie an der Kunstgewerbeschule und belegte 1929/30 die Fächer Interieur und Wohnbauten. Im Katalog der Kunstgewerbeschule, in dem alle Studierenden der jeweiligen Jahrgänge aufgelistet sind und die Richtung der Ausbildung vermerkt ist, wurde ihr eine klare Einstellung zu allen Fragen der Wohnung attestiert, allerdings mit dem Vermerk, dass sie noch an den fachlichen Fragen arbeiten müsse. Ihr Wesen wurde als energisch, aber strebsam und fleißig beschrieben. Im darauffolgenden Wintersemester wechselte Susanne Radermacher an die Technische Hochschule. Für das Wintersemester 1932 gibt es im Studienakt den Vermerk einer Abmeldung, mit Datum 14. November 1932 an die TH Berlin. Trotzdem hatte sie exakt 1 Monat später in Wien die 1. Staatsprüfung bestanden. Auch sind danach regelmäßig Prüfungen an der TH Wien vermerkt. Leider existieren keine Studienakten zu ihrer Zeit in Berlin. Jedenfalls schloss sie ihr Studium erfolgreich am 10. Juli 1935 in Wien ab.
In den Jahren nach ihrem Studienabschluss arbeitete sie in mehreren Architekturbüros in Wien und Berlin in den Bereichen Stadtplanung, Gebäude und Möbeldesign. Der wachsende Einfluss der Nationalsozialisten beunruhigte sie. Nach dem sogenannten Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich entschied sich Susanne Radermacher das Land zu verlassen.
Sie ging zuerst nach Dänemark, wo sie schon als Kind nach dem Ersten Weltkrieg gewesen war. Mit einer Empfehlung in der Tasche, reiste sie weiter nach Stockholm, und fand Arbeit im Architekturbüro bei Sune Lindström und Ivar Ståhl. Hier traf sie auch den kanadischen Architekten Arnold Wasson-Tucker (1909-1995), den sie 1939 heiratete. Ein Jahr später entschied sich das Paar, auch aus Angst vor einer Ausweitung des 1939 begonnenen Krieges, in die USA zu gehen.
Sie fand gleich Arbeit als Assistentin von Aino und Alvar Alto, dem finnischen Architektenpaar und Pionieren auf dem Gebiet des skandinavischen Designs, im finnischen Pavillon auf der Weltausstellung in New York. Nach dem Ende der Weltausstellung folgte Susanne Wesson-Tucker ihrem Mann nach Boston, wo er am Massachusetts Institute of Technology (MIT) eine Anstellung fand. Während ihr Mann eine Beschäftigung hatte, musste sie sich erst eine neue Aufgabe suchen. Marcel Breuer, bei dem sie sich beworben hatte, konnte ihr mit seinen Kontakten zu kleineren Arbeitsaufträgen verhelfen, weiters arbeitete sie bei Ausstellungen im Peabody Museum an der Universität von Harvard mit.
Von 1941 bis 1943 war sie Partnerin in der finnischen Möbelfirma Artek in Boston, die mit der Gestaltung preisgünstiger Möbeln experimentierte. Außerdem hielt sie Vorlesungen über Möbeldesign und Inneneinrichtung für Studentinnen und Studenten an verschiedenen Dekorationsschulen, und, wie ihr Mann, am MIT.
1943 wurde Arnold Wasson-Tucker zu den kanadischen Streitkräften eingezogen und Susanne Wasson-Tucker zog nach New York. Dort wurde sie 1944 Kuratorin für Industriedesign im Museum of Modern Art (MoMA) und Assistentin von Serge Chermayeff, einem russisch-englischen Architekten, der 1940 in die USA ausgewandert war.
Das Ausstellungswesen sollte ein ganz neuer Bereich für Susanne Wasson-Tucker werden. Ihre erste nachgewiesene Assistententätigkeit im Ausstellungsbereich war 1944 Art in Progress: 15th Anniversary Exhibitions: Design for Use, dann folgte Tomorrow’s Small House, über ein Stadtplanungskonzept in Nord- und Südamerika ebenfalls im MoMA. Nach dem Ende des Krieges, konzipierte sie, gemeinsam mit Serge Chermayeff, ein Solarhaus, eine visionäre Planung für nachhaltiges Bauen als Teil eines modernen, neuen Lebensstils.
Anschließend begann, als sie für die Fa. Knoll tätig zu werden. Zunächst war sie für die Inneneinrichtung der amerikanischen Botschaft in Kuba verantwortlich, danach im Zeitraum 1951-1959 für die Botschaften in Kopenhagen und Stockholm. Die Botschaften wurden mit modernen amerikanischen Möbeln ausgestattet, die von den Architekten Eero Saarinen sowie von Charles und Ray Eames entworfen worden waren. Mit diesem neuen beruflichen Schritt ging auch ein neuer privater einher. Ihr Mann ging als technischer Direktor von Knoll International nach Mexiko, sie beschloss, nach Schweden zu gehen und blieb dort.
Wichtig war ihr, freiberuflich tätig sein zu können, sie hatte für sich erkannt, dass die institutionelle Freiheit unabdingbar war für den kreativen Prozess einer Designerin. Sie arbeitete als Ausstellungsarchitektin für das Svensk Form Design Center in Stockholm, entwarf Möbel und Einrichtungsgegenstände für die Abteilungen des Nordiska Kampanit, dem nobelsten Kaufhaus in Stockholm, das bekannt dafür war auf neue Trends und Innovationen zu setzen, und für das Foresta Hotel auf Lidingö, seinerzeit ein revolutionäres Apartmenthotel. Weitere wichtige Aufträge waren die Gestaltung der Kunstabteilung der H55 in Helsingborg 1955, einer wichtigen Fachausstellung für Architektur, Industriedesign und Heimtextilien, die skandinavischem Design international viel Aufmerksamkeit einbrachte. In den 1950er und 1960er Jahren gestaltete sie eine Reihe von schwedischen Designausstellungen im Ausland, darunter 1957 den schwedischen Pavillon bei der Triennale in Mailand sowie die Wohnabteilung im Le Maison Ideale in Brüssel 1965.
Neben der Ausrichtung für Designausstellungen entwarf Susanne Wasson-Tucker Inneneinrichtungen für Flugzeuge, wie die Scandinavian Airlines und die Malaysia-Singapore Airlines.
Wasson-Tuckers Entwürfe, die sich keinen modischen Tendenzen unterwarfen, sondern ihrem modernistischen, zeitlosen Stil treu blieben, waren zu ihrer Zeit sehr chic. In den 2000er Jahren wurde ihr Werk neu gewürdigt. 2008 starb Susanne Wasson-Tucker in Stockholm.
Werke (Auswahl)
1944: Art in Progress: 15th Anniversary Exhibitions: Design for Use, Ausstellung im Museum of Modern Art, New York
1944: Useful objects for under 10$, Ausstellung im Museum of Modern Art, New York
Tomorrow’s Small House, Ausstellung im Museum of Modern Art, New York
1945: Konzept eines Solarhauses (mit Serge Chermayeff)
1945: Integrated Buildings: Kitchens, Bathrooms, Storage. Mit Elizabeth Mock und Greta Daniel
Möbelentwürfe für Nordiska Kampanit
Einrichtung für das Foresta Hotel auf Lidingö
1951-1959: Inneneinrichtung der amerikanischen Botschaften in Kuba, Kopenhagen und Stockholm
1955: Gestaltung der Kunstabteilung der H55 in Helsingborg
1957: Gestaltung des schwedischen Pavillons bei der Triennale in Mailand
1965: Gestaltung der Wohnabteilung im Le Maison Ideale in Brüssel
1970er Jahre Ausstattung von Flugzeugen der Scandinavian Airlines und der Malaysia-Singapore Airlines.
Quellen
Archiv UaK / Kunstsammlung und Archiv, Universität für angewandte Kunst Wien, Nationale Susanne Radermacher 13.10.1920
Presseaussendung: The Museum of Modern Art: Museum of Modern Art opens small permanent gallery of architecture and industrial design, (kein Datum), https://www.moma.org/momaorg/shared/pdfs/docs/press_archives/961/releases/MOM iN. MOMA-archive, A_1944_0047_1944-11-13_441113-39.pdf (aufgerufen 10.10.2023)
Heidy González Gómez: Susanne Wasson-Tucker 1911-2008, in: Una día / Una arquitecta, https://undiaunaarquitecta3.wordpress.com/2018/01/23/susanne-wasson-tucker-1
Brief von Susanne Wasson-Tucker an Marcel Breuer, 23. Oktober 1940, in: Marcel Breuer Digital Archive, Special Collections Research Center at Syracuse University Libraries, https://breuer.syr.edu/xtf/view?docId=mets/3068.mets.xml;query=;brand=default (aufgerufen 07.09.2023)
Hedvig Hedqvist: Susanne Wasson-Tucker, in: Svenskt kvinnobiografiskt lexikon, https://www.skbl.se/en/article/SusanneWassonTucker0 (aufgerufen 29.12.2023)
https://de.wikipedia.org/wiki/Ludwig_Radermacher, (aufgerufen 03.01.2024)
Daniel A. Barber: Architecture and Sufficiency: A Case Study in Applied History, in: Art Papers, https://www.artpapers.org/architecture_and_sufficiency/ (aufgerufen 12.11.2023)
Foto: Porträt, ©: Nordiska museets arkiv. NMA 0107321
Foto: Inneneinrichtung:. ©: Nordiska museets arkiv.
Text: Christine Oertel
Jänner 2024