Biografie
Die Familie Matzalik war aus Brünn nach Wien übersiedelt. So konnte Tochter Edith Matzalik in Wien die Volks- und Bürgerschule besuchen. Danach führte sie ihr technisches Interesse in die Staatsgewerbeschule für Baufach im 1. Bezirk in Wien. Doch ihr Berufswunsch wurde zu „Innenarchitektur, Leitung einer (eventuell eigenen) kunstgewerblichen Werkstätte„, wie sie auf der ersten Nationale angab, dem Formblatt, das sie beim Eintritt in die Kunstgewerbeschule auszufüllen hatte. Im ersten Jahr kam sie in die Klasse Allgemeine Formenlehre bei Karl Witzmann und Franz Cizek. Anschließend entschloss sie sich für die Architekturklasse von Oskar Strnad und besuchte auch Baukonstruktionslehre bei Josef Frank. 1924 im Alter von 21 Jahren schloss sie an der Kunstgewerbeschule ab mit folgendem Gesamturteil ihrer Lehrer in ihrem Abgangszeugnis:
„Fräulein Edith Matzalik ist sehr begabt, ernst, verlässlich, gewissenhaft und besitzt klares Formempfinden. Sie ist klar, klug, dabei empfindsam, aber durch Selbstbeherrschung nie dem Sachlich-Vernünftigen entgegen. Sie beherrscht das Bauhandwerk, ist da für alle wohnlich-praktischen Architekturarbeiten sehr geeignet.“
Um ihre Ausbildung zu vervollständigen, ging sie wieder an die technisch-gewerbliche Lehranstalt Wien 1, Abteilung Hochbau, wo sie 1926 die Reifeprüfung mit Auszeichnung ablegte. Anschließend arbeitet sie ein Jahr als Bautechnikerin im Büro von Architekt Franz Schuster. In diesem Jahr dürfte auch der Kontakt zum, von Otto Neurath 1924 gegründeten Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum (GWM) in Wien entstanden sein. Ab 1927 war sie als angestellte Mitarbeiterin des GWM bei wissenschaftlichen Untersuchungen tätig. Der Grafiker Gerd Arntz war ab 1928 dabei, er entwickelte hier mit Neurath die Wiener Methode der Bildstatistik. Edith Matzalik bereitete graphische Darstellungen auf dem Gebiet des Städtebaus und Siedlungswesen auf und lernte die Technik des Linolschnitts für diese Darstellungen anzuwenden. Ab 1931 hatte das Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum eine Kooperation mit dem Institut Izostat in Moskau. Einige Wiener Mitarbeiter*innen, darunter war Edith Matzalik, übersiedelten nach Moskau und arbeiteten regelmäßig mit russischen Grafiker*innen zusammen.
Otto Neurath besuchte bei seinen Moskau Aufenthalten öfters auch Margarete Schütte-Lihotzk, die er aus der gemeinsamen Arbeit für die Siedler*innenbewegung in Wien gut kannte. Schütte-Lihotzky lebte und arbeitete seit 1930 in Moskau als Mitglied des Expert*innenteams um Ernst May. Sehr wahrscheinlich kannten und trafen sich auch die beiden Architektinnen Margarete und Edith in Moskau. Margarete Schütte-Lihotzky erwähnte in einem Brief an ihre Schwester Adele in Wien (November 1931): „Neurath hat einen Vertrag für sein Museum abgeschlossen und wird jetzt wohl öfters kommen, ebenso Bauermeister und Matzalik, so dass durch das Museum ein ständiger direkter Verkehr Wien – Moskau entstehen wird.“
1934 wurde der Verein des GWM in Wien durch das Regime des Ständestaates aufgelöst, auch die Kooperation mit Izostat endete. Edith Matzalik blieb noch länger in Moskau und arbeitete für Izostat. In ihrem Lebenslauf gab sie an, dass sie von 1934 bis 1936 „in gleicher Stellung in Moskau“ war und von 1936 bis 1940 selbständig als Architektin tätig war. Ab 1936 scheint Edith Matzalik wieder in Wien gelebt und gearbeitet zu haben.
1940 übernahm sie einen Werkvertrag beim Reichsbauamt Innerer Stadt II, von August 1942 bis 1943 war sie Mitarbeiterin bei der Ostraumplanung und ab November 1943 bis Kriegsende im Reichsbauamt Innere Stadt II für Anfertigung von Planunterlagen des Stiftes Lambach tätig.
Ihre grafischen Fähigkeiten setzte sie als Zeichnerin für Spezialeffekte und Trick bei der Wien-Film ein, zB. bei den Dokumentarfilmen Augen 1941 und Dein besseres Ich 1942.
Nach Kriegsende war Edith Matzalik ab 1946 bei der Wiener Stadtbauamtsdirektion angestellt. Sie war an vielen städtebaulichen Aufgaben beteiligt und für Ausstellungsvisualisierungen verantwortlich. Bei der Ausstellung Die Frau und ihre Wohnung im Dezember 1950 war Edith Matzalik in der Jury der Veranstalter und für die Ausstellungtafeln zuständig. Die Ausstellung hatte den Fokus auf der allgemeinen Hebung der Wohnkultur, wobei Frauen als die Ansprechpersonen für Wohnung und Hausrat gesehen wurden.
1951 kündigte sie bei der Stadt Wien, denn um die Selbständigkeit zu erreichen suchte sie bei der Ingenieurkammer um Erlangung der Befugnis eines Architekten (einer Architektin) an, mit dem Nachweis einer mehr als 10jährigen Praxis. Die Kammer lehnte ab. Doch von Seiten des Bundesministeriums für Handel und Wiederaufbau wurde die Nachsicht des Studiennachweises ausgesprochen. Sie erhielt den Bescheid zur Zulassung zur Ziviltechnikerprüfung, die sie im Dezember 1952 ablegte. Schließlich erreichte sie 1954 die Verleihung der Befugnis einer Architektin und eröffnete ihre Kanzlei in Wien 15. Als selbständige Architektin war sie öfters in Arbeitsgemeinschaften mit mehreren Architekt*innen beauftragt, unter anderem an der Planung der städtischen Wohnhausanlage Marianne und Oscar-Pollak-Hof im 21. Bezirk. Weiterhin bearbeitete sie Studien im Auftrag der Stadt und publizierte zu verschiedenen städtebaulichen Fragen.
1966 verlegte sie ihre Kanzlei in die Erdgeschoßräume des Hauses im 10. Bezirk in Wien, indem sie auch wohnte.
Sie projektierte einen Kindergarten im 22 Bezirk, der im Jahr 1968 in Bau war, als sie sehr plötzlich verstarb. Die Ausführungsplanung war bereits fast abgeschlossen. So konnte der Kindergarten nach dem Tod der Architektin durch den Substitut Architekt Friedrich Pangratz fertiggestellt werden.
Werke (Auswahl)
1957 – 1960 Wohnhausanlage der Stadt Wien, Heiligenstädter Str./ Grinzingerstr., 1190 Wien (mit den Architekten Friedrich Pangratz und Fritz Kastner)
1960 Volkshochschule und Bücherei Heiligenstädter Straße 155, 1190 Wien (mit den Architekten Friedrich Pangratz und Fritz Kastner)
1958 – 1969 Wohnhausanlage der Stadt Wien, Marianne und Oscar-Pollak-Hof, Dunantgasse 10-18, Prager Straße 31, 1210 Wien (beteiligte Architekt*innen: Alois Brunner, Otto Frank, Josef Horacek, Fritz Kastner, Edith Matzalik, Friedrich Pangratz, Wilhelm Reichel, Hans Riedel, Elisabeth Riegler, Norbert Schlesinger)
1968 Kindergarten der Stadt Wien, Eipeldauerstraße 25, 1220 Wien
Publikationen (Auswahl)
Wiener Planungsprobleme. Streiflichter aus den Arbeiten der Arbeitsgemeinschaft für Raumforschung und Planung, I. Planung und Wirklichkeit, in: Der Aufbau, Wien, Juni 1953, S.232-233
Der Stadtrand am linken Donauufer, in: Wien – die Stadt und ihr Umland, Wien, 1956, S.10-14
Schulraumbedarf in neuen Wohngebieten. Untersuchung im Auftrag der Stadtbauamtsdirektion – Gruppe Stadtplaner, Wien, April 1963
Quellen
Arbeiterbildung in der Zwischenkriegszeit. Otto Neurath – Gerd Arntz, Hg: Friedrich Stadler, Österreichisches Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum, Wien/ München 1982
Gerd Arntz: Otto Neurath, ich und die Bildstatistik. Soziologie, 45. Jg., Heft 4, 2016, S. 365–370
AT-OeSTA/ Archiv der Republik, Edith Matzalik
Baubewilligung Wohnhausanlage Heiligenstädterstr./ Grinzingerstr., in: Amtsblatt vom 15.9.1956
Bauwesen Teil II, Bildbeispiele aus dem Bauschaffen der Stadt Wien, 1960, S. 455
Die Frau und ihre Wohnung: Der Aufbau, Wien, 2/1951, S. 61f
Günter Krenn: Die Kulturfilme der Wien-Film 1938-1945, Schriftenreihe des österreichischen Filmarchivs, Folge 29, Wien, 1992
Nationalen und Abgangszeugnis Edith Matzalik aus Kunstsammlung und Archiv der Universität für angewandte Kunst Wien (Archiv UaK)
Österreichisches Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum (ÖGWM), Dank für die Auskunft an Herrn Gerhard Halusa, 25.01.2024
Günther Sandner: Otto Neurath. Eine politische Biographie, Wien, 2014
Astrit Schmidt-Burkhardt: Die Kunst der Diagrammatik, Bielefeld, 2017
Stadtrand und wilde Siedlungen als Problem, in: Der Aufbau, Wien, 6/1949, S. 36
Edith Matzalik | filmportal.de (abgerufen 05.01.2024)
https://www.wienerwohnen.at/hof/43/Marianne-und-Oscar-Pollak-Hof.html (abgerufen 10.10.2023)
Foto Portrait: Archiv ÖGWM
Foto Werk: C. Zwingl
Text: Christine Zwingl
März 2024