Biografie
Ilse Weschta wuchs in einem bürgerlichen Elternhaus auf – beide Eltern waren Hauptschullehrer – und wenn es nach dem Willen ihres Vaters gegangen wäre, hätte auch die Tochter Ilse diesen Weg eingeschlagen. Obwohl selbst Zeichenlehrer, hatte er den künstlerischen Ambitionen seiner Tochter wenig Verständnis entgegengebracht. Aber Ilse hatte selbst schon in ihren jungen Jahren andere Vorstellungen. Ihre Mutter zeigte mehr Verständnis für die Wünsche der Tochter. Den Erwartungen des Vaters entsprechend, war sie nach der Matura an der Lehrerinnenbildungsanstalt angemeldet worden, trotzdem aber begleitete ihre Mutter sie zu einem Aufnahmegespräch bei Siegfried Theiß, Professor an der Technischen Hochschule. Nachdem dieser ihr Zeichentalent bestätigt hatte, drängte Ilse ihren Vater, sie studieren zu lassen. 1938 begann sie schließlich mit Billigung des Vaters ihr Studium an der Technischen Hochschule in Wien. Da ihr Vater ihr aber nach 3 Semestern die finanzielle Unterstützung entzog, war sie gezwungen ihr Studium selber zu finanzieren. Daher begann sie ab 1939 für zwei Jahre als Werkstudentin in der Bauabteilung der Firma Donauchemie A.G. zu arbeiten begann. Der finanzielle Druck, vielleicht aber auch die gesammelte Arbeitspraxis spornten sie an und bereits am 10. März 1941 bestand sie die 1. Staatsprüfung mit der Gesamtnote “sehr gut”. Knapp ein Jahr später, am 4. Februar 1942, schloss sie mit der 2. Staatsprüfung ihr Studium ab. Bereits während ihres Studiums, ab November 1941, übernahm sie für 3 Monate die Student*innenbetreuung bei der Bauaufnahme der Lehrkanzel für Baukunst und Bauaufnahmen unter Max Theuer. Eine Aufgabe, die sie danach bis 1943 am Bundesdenkmalamt weiterführte, wenn es um Vermessungs- und Bauaufnahmen in verschiedenen Ortschaften ging. Diese Vermessungsaufnahmen hatten ihren Grund in der Dokumentation erhaltungswürdiger Bauten, die, je länger der Krieg andauerte, vermehrt der Beschädigung oder Zerstörung durch Bomben ausgesetzt waren. Die Studierenden der TH Wien waren im Auftrag der Landeskonservatoren im Einsatz, um diese wichtige Aufgabe umzusetzen. Eine der Stationen war Steyr. Die dort angefertigten Bauaufnahmen stellten später die Grundlage für ihre Doktorarbeit dar, als sie nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs 1947, als siebente Doktorandin an der TH, mit der wissenschaftlichen Arbeit: Das Bürgerhaus in Steyr zur Dr.Tech. promovierte. Die Themen des historischen Baubestandes sollten sie ihr ganzes berufliches Leben beschäftigen, denn sie wurde zu einer Pionierin im Bereich der Denkmalpflege.
Ilse Weschtas Verbleib und Karriere an der TH nach ihrem Studienabschluss waren eher ungewöhnlich und eine Folge des Krieges und der Knappheit an gut ausgebildeten männlichen Fachkräften. Zu Jahresbeginn 1944 wurde sie Hochschulassistentin bei Max Theuer. Sie war, wie auch andere Assistenten und Assistentinnen, der NSDAP beigetreten. Dies mag ihrer Stellung als Assistentin förderlich gewesen sein. Mit Kriegsende und dem Ende des Nationalsozialismus wurde die Führungsebene und Professorenschaft der TH Wien teilweise entlassen und durch politisch Unbelastete ersetzt. Max Theuer wurde interimistisch zum Dekan ernannt und Ilse Weschta hatte, da Max Theuer erkrankt war, einige seiner Lehraufträge zu übernehmen. Eine weitere wissenschaftliche Laufbahn der jungen Architektin schien eine logische Folge. Diese Assistenzstelle endete aber 1948, bedingt durch die Emeritierung Max Theuers und ihre Eheschließung mit einem weiteren TH Absolventen, Jan Kočí. Ob es noch andere Gründe gab, wissen wir nicht.
Auch wenn die Nachkriegszeit viele Aufträge für Architektinnen, Architekten und Stadtplaner*innen bot, waren die Lebensumstände schwierig. Daher entschied sich das Paar 1948 in die Tschechoslowakei, die Heimat ihres Mannes, zu übersiedeln. Anfang 1948, nur kurz vor dem Februarputsch in Prag, war das Paar in Bratislava angekommen. 1949 wurde Silvia, das einzige Kind des Paares geboren. Beruflich mussten sie neu Fuß fassen, das gelang ihr mit einer Anstellung bei einem Baubüro für die Dauer von 2 Jahren, danach 3 Jahre beim Denkmalamt in Bratislava, während ihr Mann an der TH in Bratislava Lehraufträge erhielt. Ilse Kočís Anstellung endete 1955. Bis 1957 arbeitete sie als selbständige Architektin im Bereich Wohnbauten, Inneneinrichtungen, sie nahm an Ausstellungen teil und beteiligte sich gemeinsam mit ihrem Mann an Wettbewerben und Neuadaptierungen, wie dem Kulturhaus in Bucsány oder dem Stadion in Šurany.
Das Leben in dem unter kommunistischer Verwaltung stehenden Land entwickelte sich zusehends schwierig für das Paar. Der Wunsch nach Österreich zurückzukehren gestaltete sich kompliziert, denn eine legale Ausreise aus der Tschechoslowakei während des Kalten Krieges war praktisch unmöglich. Die Ausreise gelang schließlich getrennt und über die Zwischenstation Ägypten. 1957 schließlich kam die Familie Kočí wieder in Wien an. Sie beschloss selbständig zu arbeiten, legte erfolgreich die Ziviltechnikerprüfung ab und suchte am 19. Mai 1958 um die Architektenbefugnis an. Als Praxisbeispiele hatte sie die Inneneinrichtung der Gaststätte Perle und das Hotel Palace in Bratislava angegeben. Trotzdem sie diese Arbeiten aus der Zeit in der Tschechoslowakei offenbar nicht ausreichend nachweisen konnte, wurde ihr die Bewilligung erteilt, mit dem Hinweis: “Die aus politischen Gründen nicht belegte Praxis in der CSR ist soweit glaubwürdig, dass sie zumindest für den Nachweis der Bauleitungstätigkeit gelten kann. Im Übrigen ist die Praxis durch die Assistententätigkeit in Wien gegeben.”
Zu ihren Projekten in Wien, die sich stark um historisch-städtebaulichen Bestandsaufnahmen und die Erhaltung denkmalgeschützter Gebäude drehte, gehörten die Gestaltung und Renovierung des Platzes Maria am Gestade und die Sanierung und Restaurierung der U-Bahn-Stationen von Otto Wagner am Karlsplatz. Daneben wurden auch mehrerer Wohnhäuser für die Gemeinde Wien errichtet und eine Schule im 22. Bezirk. Ein spezielles Projekt, das in ihrer Dimension und Konzeption zukunftsweisend war, betraf eine Studie aus dem Jahr 1968 zur Schaffung einer Fußgängerzone, die den Bereich Naglergasse – Graben – Kärntnerstraße umfasste. Fünf Architekturbüros waren von der Stadt Wien mit einer Studie zur Durchführbarkeit beauftragt worden, die aber anfangs von den Verantwortlichen als undurchführbar abgelehnt worden war. Erst einige Jahre später wurde die Idee einer Fußgängerzone umgesetzt.
Ilse und Jan Kočí arbeiteten bis in die 1990er Jahre oft gemeinsam an Projekten. Jan Kočí starb 2004, Ilse Kočí 2010.
Werke (Auswahl)
Kulturhaus in Bucsány (Slowakei)
Stadion in Šurany (Slowakei)
1973-1974: Revitalisierung der Häusergruppe in Wien I, Maria am Gestade 3-7
1976-79: Wohnhausanlage in der Breitenfurterstraße 291-297, Wien XXIII
1979: Rekonstruktion der Stadtbahnstationen in Wien I, Karlsplatz
Umbauten an der Wiener Kammeroper in Wien I, Drachengasse 2
Umbauten im Konservatorium der Stadt Wien, Wien I, Johannisgasse
1980-86: An- und Umbau des Schulzentrums Herbststraße, Wien XVI
Studie
1968: Studie über die Schaffung einer Fußgängerzone Kärntnerstraße – Graben – Naglergasse
Wettbewerbe
Schulzentrums Herbststraße (1. Preis)
Pensionistenheim in Wien-Ottakring (1. Preis)
Dr.-Adolf-Schärf-Studentenheim (3. Preis)
Jugendstrafanstalt Gerasdorf (Anerkennung)
Quellen
Linda Erker: Geschlechterverhältnisse im Austrofaschismus 1933-1938. Die Kommunistin und TH-Studentin Ruth Zerner, in: Marion Krammer, Margarethe Szeless (Hg): 1919-2019. 100 Jahre Frauen an der Technischen Universität Wien, Wien, 2019
Ingrid Holzschuh, Sabine Plakholm-Forsthuber: Ilse Kočí 1919-2010, in: Pionierinnen in der Wiener Architektur, Zentralvereinigung der ArchitektInnen Österreichs, (Hg.)
Ilse Korotin (Hg): BiografiA, Lexikon österreichischer Frauen, Band 2 (I-O), Wien, 2016
Ina Markova: Nationalsozialistische Geschlechterbilder. Frauen in technischen Berufen, in: Marion Krammer, Margarethe Szeless (Hg) 1919-2019. 100 Jahre Frauen an der Technischen Universität Wien, Wien, 2019
Juliane Mikoletzky, Ute Georgeacopol-Winischhofer, Margit Pohl: Dem Zug der Zeit entsprechend…Zur Geschichte des Frauenstudiums in Österreich am Beispiel der Technischen Universität Wien (Schriftenreihe des Universitätsarchivs), Universität Wien, 1997
Sabine Plakholm-Forsthuber: ZV-Frauen bauen mit! Wege und Irrwege der ersten Architektinnen in der ZV (1925 – 1959), in: Ingrid Holzschuh (Hg.), Baukultur in Wien 1938 – 1945, Zentralvereinigung der ArchitektInnen Österreichs, (Hg.)
Anmeldeformular für die Aufnahme in die Zentralvereinigung der Architekten in der Berufsvereinigung der bildenden Künstler Österreichs, 1948
AT-OeSTA/Archiv der Republik, Ilse Kočí
AT TUWA, Archiv der TU Wien, Hauptkatalog 1937/1938, Ilse Weschta, Matr. Nr. 413-03.12.1937
AT TUWA, Hauptkatalog 1941, Ilse Weschta, Matr. Nr. 239-06.07.1941
Ilse Koci, in Women Architects on the Web
https://www.tuwien.at/tu-wien/organisation/zentrale-bereiche/genderkompetenz/frauenspuren/daten-fakten/
Stefan Loubichi: Die I.G. Farbenindustrie AG und ihre Rolle im Dritten Reich, in: Zukunft braucht Erinnerung, https://www.zukunft-braucht-erinnerung.de/die-ig-farbenindustrie-ag-und-ihre-rolle-im-dritten-reich/ (aufgerufen 02.01.2024)
https://de.wikipedia.org/wiki/Max_Theuer (aufgerufen 30.10.2023)
Margot Werner: 60 Jahre Fußgängerzone in Österreich, in: Österreichische Nationalbibliothek, https://www.onb.ac.at/mehr/blogs/detail/60-jahre-fussgaengerzone-in-oesterreich (aufgerufen am 02.01.2024)
Abbildung:
Porträt
Fotocredit TU Archiv Wien
Werk: Zeichnung, Projektentwurf für die Fußgängerzone Naglergasse, 1968
Fotocredit: Ilse Kočí papers, IAWA Small Collections, Ms20009-054, Special Collections and University Archives, University Libraries, Virginia Polytechnic Institute and State University
Text: Christine Oertel
Februar 2024