Kernhausentwurf von Brigitte Kundl und Werner Theiss. Wettbewerbsentwurf “Wachsende Häser”, Wien 1932

Biografie

Brigitte Kundl nimmt sowohl in der Frauenforschung als auch in der Technik- und Architekturgeschichte eine herausragende Stellung ein. Sie war die erste Frau, die an der Technischen Hochschule ein Rigorosum ablegte und mit ihrer innovativen Dissertation die Fachwelt beeindruckte.

Geboren in Borisgwerk (Biskupitz), einer ehemaligen Bergarbarbeitersiedlung im damaligen Österreich-Schlesien, stammte Brigitte Kundl aus einer deutschsprachigen, evangelischen Familie. Ihr Vater, Karl Kundl, wirkte als Bergbauingenieur im Staatsdienst und prägte damit ihre Kindheit inmitten des industriellen Umfelds. Nach dem Untergang der Monarchie erhielt die Familie im Jahr 1924 die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft.

Von 1921 bis 1927 besuchte sie das sechsklassige Mädchen-Lyzeum (der Ort der Schule ist nicht bekannt), ein dortiger Abschluss berechtigte sie jedoch nicht zum ordentlichen Studium. Ab 1927 war sie daher zwei Jahre lang außerordentliche Studentin an der Technischen Hochschule in Wien, bis sie am 8. März 1929 an der Bundesrealschule im 4. Wiener Gemeindebezirk die Matura ablegte und damit das ordentliche Studium an der Technischen Hochschule beginnen konnte. Die erste Staatsprüfung legte sie am 29. Oktober 1929 ab, die zweite am 15. Dezember 1931. Anschließend besuchte sie die Meisterschule von Siegfried Theiss, Professor für Raumkunst und Gebäudelehre. Gemeinsam mit ihrem Architektenkollegen und engen Freund Werner Theiss (dem Sohn von Siegfried Theiss) nahm sie Anfang der 1930er Jahre an Wettbewerben in Wien teil, wie z.B. am Wettbewerb „Wachsende Häuser“ 1932. Neben 17 anderen Teilnehmenden reichten Kundl und Theiss einen Entwurf für ein “Kernhaus” ein, das durch Zubauten zweimal erweitert werden kann. Das Kernhaus besteht aus einem Vorraum, einem Wohnzimmer mit Schlafnische, einer Küche mit Speisekammer, einem Bad mit WC und einem Keller mit Waschküche und Räumen für Brennmaterial, Vorräte und Geräte. 

1933 wurde ein Wettbewerb für ein Richard-Wagner-Denkmal in Wien ausgeschrieben, das auf dem Schwarzenbergplatz platziert werden sollte. Unter 150 Entwürfen, erreichten Kundl und Theiss, zusammen mit dem Bildhauer Ferdinand Opitz mit ihrem Entwurf den zweiten Platz. In der Arbeiter Zeitung wurde dieser folgendermaßen beschrieben: „Der Entwurf […] stellt einen auf einer schmäleren Platte breit gelagerten, durch Einsprünge gegliederten und mit Reliefs geschmückten mächtigen Quader dar“. Der Grund für die Zweitplatzierung war, dass die Reliefs bereits aus geringer Ferne nicht mehr gesehen werden konnten und der Quader allein, zu wenig für ein Denkmal war. Im selben Jahr reichte das Architekturbüro Theiss & Jaksch zwei Entwürfe für ein Österreichisches Heldendenkmal ein, das an die gefallenen Soldaten im ersten Weltkrieg erinnern soll. Das Team, das an den beiden Entwürfen arbeitete, bestand aus Siegfried Theiss, Hans Jaksch, Werner Theiss, Brigitte Kundl, dem Maler Vinzenz Gorgon und dem Bildhauer Ferdinand Opitz.

Neben der Teilnahme an Wettbewerben, arbeitete Brigitte Kundl an ihrer Abschlussarbeit der Meisterklasse. In dieser Arbeit, die am 11. März 1934 mit ‚vorzüglich‘ bewertet wurde, befasste sich die Architektin mit einer neuen Flughafenanlage in der Stadt Wien. Diese Arbeit bildete die Grundlage für ihre Dissertation, die sie im Juni 1935 unter dem Titel ‚Ein Stadtflughafen für Wien‘ einreichte. Im Juli desselben Jahres legte sie die Prüfung mit Auszeichnung ab und wurde damit die erste Doktorin der Architektur an der Technischen Hochschule Wien.

Ein Flughafen in Wien war ein aktuelles Thema, dem sich die talentierte Architektin widmete. Aufgrund der beträchtlichen Distanz von 14 km zum Wiener Stadtzentrum war das Flugfeld Wien-Aspern, das im Jahr 1912 eröffnet und 1930 für den internationalen Flugverkehr erweitert wurde, sehr ungünstig gelegen. Aus diesem Grund erarbeitete Kundl einen Entwurf eines Flughafens, der in der Nähe der Stadtmitte auf den Wiener Arsenalgründen entstehen und an einem künftigen Zentralbahnhof anknüpfen sollte. In Zusammenarbeit mit Fachleuten und unter der Leitung ihres Professors erarbeitete sie ein Konzept, das einen Flughafen und ein Messegelende zusammenfasste. Die Anlage besteht aus einem Rundbau, der das Zentrum von zwei ringförmigen Messebauten bildet. Die Dachflächen der Bauten wurden mit einer schwenkbaren Brücke verbunden, wodurch eine Abflug- und Landebahn von 500m Länge geschaffen wurde.  Die Kapazität des Flughafens betrug 20 Abflüge und 20 Landungen pro Stunde. 

Ihr innovativer Entwurf erregte die Aufmerksamkeit der für die Luftfahrt zuständigen Ministerien und fand auch in der Fachwelt Beachtung, vor allem, nachdem sie das Modell 1936 dem Technischen Museum übergab, bevor sie ins Ausland berufen wurde. „Wie lange werden die Wiener darauf warten müssen, daß die fähige Architektin, die man nun in die Fremde ziehen lassen mußte, zurückberufen werde, damit sie die Bauleitung des von ihr entworfenen Projekts übernehme?“ – So lautete die Frage im Begleittext zur Projektbeschreibung, die schon nach kurzer Zeit mit „Nie“ beantworteten werden konnte, denn aufgrund des Zweiten Weltkrieges und dem rasanten Wachstum der Städte, konnte die Architektin dem Wunsch, das Projekt zu realisieren, nicht nachkommen. 

Die Kriegswirren und der Tod ihres guten Freundes Werner Theiss, der 1945 im Krieg gefallen war, dürften Brigitte Kundl dazu bewogen haben, ihre Tätigkeit als Architektin, unbeachtet von der Fachwelt, fortzusetzen. Nach Kriegsende arbeitete Brigitte Kundl von 1945 bis 1952 wieder im Atelier des Architekten Siegfried Theiss. Nach ihrer Heirat übersiedelte sie nach Salzburg und fand eine Anstellung als Mitarbeiterin bei ihrem Architektenkollegen Hans Hofmann, wo sie rund 20 Jahre arbeitete. Über den weiteren Lebensweg der Architektin sowie über ihre selbständig realisierten Projekte und Bauten in Salzburg konnte bisher noch nichts in Erfahrung gebracht werden. Brigitte Muthwill-Kundl verstarb am 8. Oktober 1992, im Alter von 86 Jahren in Salzburg. 

Werke (Auswahl)

1932 Wien: Wettbewerbsentwurf „das wachsende Haus“ Brigitte Kundl  zusammen mit Werner Theiss

1933 Wien: Wettbewerbsentwurf für ein Richard Wagner Denkmal Brigitte Kundl zusammen mit Werner Theiss und dem Bildhauer Ferdinand Opitz – 2. Platz

1933 Wien: Ideenwettbewerb Österreichisches Heldendenkmal. Brigitte Kundl mit Siegfried Theiss, Hans Jaksch, Werner Theiss, Vinzenz Gorgon, Ferdinand Opitz.

1935 Wien: Entwurf „Ein Stadtflughafen für Wien“, Doktorarbeit 1935

Quellen

Ein Richard-Wagner-Denkmal für Wien. in: Arbeiter Zeitung, 17.05.1933, Heft 135, S. 5, Wien.

Ute Georgeacopol-Winischhofer: Muthwill, Brigitte geb. Kundl. In: Brigitta Keintzel, Ilse Korotin (Hg.): Wissenschafterinnen in und aus Österreich. Leben – Werk – Wirken. Wien, Köln, Weimar, 2002

Eduard Heinl, Leopold Rochowanski: Wachsende Häuser : achtzehn Projekte. Wien, 1932

Brigitte Kundl: Ein Stadtflughafen für Wien. Von Architekt Ing. Dr. Brigitte Kundl. (Auszug aus der Doktorsarbeit). in: Zeitschrift des Österreichischen Ingenieur- und Architektenvereines. Heft 23/24, S. 138-139. 1936

Juliane Mikoletzky, Ute Georgeacopol-Winischhofer, Margit Pohl: „Dem Zuge der Zeit entsprechend …“ Zur Geschichte des Frauenstudiums in Österreich am Beispiel der Technischen Universität Wien, Wien, 1997.

Anna Stuhlpfarrer: Ein Denkmal des Dankes, der Ehre und der Treue. Der zweistufige Wettbewerb zur Errichtung des Österreichischen Heldendenkmals 1933/34. In: Dieter A. Binder (Hg.), Richard Hufschmieder, Heidemarie Uhl: Gedächtnisort der Republik. Das Österreichische Heldendenkmal im Äußeren Burgtor der Wiener Hofburg. Geschichte – Kontroversen – Respektiven. Wien, Köln, Weimar, 2021

Abbildungen:

Portrait mit Flughafenmodell © Technisches Museum Wien, Archiv

Kernhaus von Brigitte Kundl und Werner Theiss. Wettbewerbsentwurf “Wachsende Häser”, Wien 1932 © Eduard Heinl, Leopold Rochowanski: Wachsende Häuser : achtzehn Projekte. Wien, 1932

Text: Miriam Thöni Altstätter

Februar 2024