Biografie
Margarete Lihotzky wurde am 23.1.1897 in Wien geboren und wuchs in einer bürgerlichen Familie im fünften Bezirk auf, gemeinsam mit ihrer älteren Schwester Adele, die später Lehrerin wurde. Sie war zeichnerisch begabt und besuchte zuerst die grafische Lehranstalt, dann die Kunstgewerbeschule in Wien. Der Abschluss ihrer Ausbildung 1919 fiel zusammen mit dem Beginn der Ersten Republik und fortschrittlichen Neuerungen für die Gesellschaft und die Frauen, wie das allgemeine Wahlrecht für Frauen.
Schon in ihren Studienjahren wurde sie mit den sozialen Fragen des Wohnens konfrontiert. Es waren die Jahre des Ersten Weltkriegs. An der Kunstgewerbeschule gab es einen schulinternen Wettbewerb für Arbeiterwohnungen an dem Margarete teilnehmen wollte. Ihr Lehrer Oskar Strnad machte sie aufmerksam, zuerst die reale Wohnsituation in den Arbeitervierteln der Stadt kennen zu lernen. Erstmals war die junge Studentin mit Wohnungsnot und Elend in Wien konfrontiert. Diese prägende Erlebnisse blieben wesentlich für ihre Arbeit. Den Grundsatz Befundaufnahme vor Beginn der Planung befolgte sie ihr Leben lang.
Bald kam sie mit der Wiener Siedlerbewegung in Kontakt und arbeitete auch selbständig an Entwürfen für Siedlerhütten und Siedlerhäuser. Im Baubüro des Österreichischen Verbandes für Siedlungs- und Kleingartenwesen, entwickelte sie daraus „Kernhäuser“, kleine Siedlerhäuser bei denen der „Kern“ durch Zu- und Ausbauten nach Möglichkeiten erweitert werden konnte.
Ihre funktionalen und gestalterischen Überlegungen setzte sie besonders im Bereich Hausarbeit um. In den Siedlerhäusern gab es eine Wohnküche mit einem Herd zum Kochen und Heizen, ergänzt durch die Spülküche. Für diese entwickelte Grete Lihotzky ein rationelles Einbau-Fertigteil, das 1922 im Wiener Rathaus erstmals ausgestellt wurde. Auf der Wiener Kleingarten-Siedlungs- und Wohnbauausstellung waren Siedlerhäuser samt Mustereinrichtungen zu besichtigen, ausgestattet mit kompletten Einrichtungen der damals gerade 26 Jahre alten Architektin.
Auch an der Planung an einem der Wohnbauten des Roten Wien war Grete Lihotzky beteiligt – für den Otto-Haas-Hof, im 20. Bezirk, der 1924 – 1925 gebaut wurde.
In dieser Zeit erkrankte Grete an Tuberkulose und musste für fast ein Jahr in ein Sanatorium. Diese Krankheit holte sie zeitlebens immer wieder ein.
Ihre erfolgreiche Tätigkeit machte sie auch international bekannt. 1926 wurde die Architektin nach Frankfurt am Main an das städtische Hochbauamt berufen, wo in großem Maße neue Siedlungsanlagen geplant wurden. Sie arbeitete an den Wohnungstypen unter Berücksichtigung der Rationalisierung der Hauswirtschaft, die später so bekannte „Frankfurter Küche“ entstand. Viele Ausstellungen und Publikationen folgten zur Präsentation der neuen Entwicklungen.
1927 heiratet sie Wilhelm Schütte, einen deutschen Architektenkollegen am Hochbauamt. Sie blieb berufstätig, auch wenn Doppelbeschäftigungen von EhepartnerInnen im städtischen Dienst nicht gestattet waren, gab es für sie zeitweise Ausnahmegenehmigungen, daneben war sie selbständig tätig.
Im Jahr 1930 ging das Paar mit einer ExpertInnengruppe nach Moskau, die neue Wohnstädte für die verschiedenen Teile der Sowjetunion planten. Margarete war speziell für alle Bauten für Kinder zuständig, wie Kindergärten, Kinderkrippen, Kinderklubs und Kindermöbel. Ihr Mann Wilhelm Schütte war der Experte für Schulbau.
In Wien entstand in den Jahren 1930-1932 die Werkbund-Siedlung mit siebzig Musterhäusern nach den Planungen österreichischer und internationaler ArchitektInnen. Darunter war Margarete Schütte-Lihotzky die einzige Architektin, die zur Planung eingeladen war. Ihre Häuser gehörten zu den kleinsten und günstigsten Bauten, wurden kurz nach ihrer Errichtung verkauft und befinden sich seither in Privatbesitz.
Margarete und Wilhelm Schütte entschlossen sich 1937 die Sowjetunion zu verlassen und reisten nach Paris. Erst im Herbst 1938 fand das Paar in Istanbul Exil. Inzwischen war Österreich dem Deutschen Reich angeschlossen. In Istanbul konnten sie an der Académie des Beaux-arts, die dem Erziehungsministerium unterstand, arbeiten.
Margarete Schütte-Lihotzky schloss sich in Istanbul einer österreichischen kommunistischen Widerstandsgruppe gegen den Nationalsozialismus um Architekt Herbert Eichholzer an. Im Winter 1940 fuhr sie nach Wien, um sich aktiv am Widerstand zu beteiligen. Sie wurde in Wien inhaftiert, das Todesurteil für sie beantragt. Das Urteil lautete 15 Jahren Zuchthaus, die sie im Zuchthaus Aichach in Bayern verbringen musste. Dort erlebte sie die Befreiung und das Kriegsende im Mai 1945.
Um ihren Mann wieder zu treffen reiste sie im Jahr 1946 in Richtung der Türkei. Sie musste jedoch in Sofia Bulgarien auf seine Ausreise warten. In der Zwischenzeit plante sie die ersten Kindergärten Bulgariens, einige wurden gebaut und sind seither in Betrieb.
Anfang 1947 kehrten Margarete Schütte-Lihotzky und Wilhelm Schütte gemeinsam nach Wien zurück. Der Neubeginn in der Nachkriegszeit war schwierig. Die unterschiedlichen Erfahrungen in den sechs Jahren der Trennung führten die beiden auseinander. Nach vier Jahren trennte sich das Paar, beruflich arbeiteten sie noch einige Male zusammen.
Große Bedeutung für Margarete hatten nun die politische Anliegen der Frauen- und Friedensbewegung. Als Präsidentin des neu gegründeten Bundes Demokratischer Frauen Österreichs (BDFÖ) war sie ab 1948 aktiv. Sie hielt Vorträge und schrieb Artikel für verschiedene Zeitschriften, auch für die Stimme der Frau des BDFÖ. Schon seit den ersten Jahren ihrer Berufstätigkeit publizierte sie zu Architekturthemen.
Als Architektin befasste sie sich mit verschiedenen Bauaufgaben, gestaltete Ausstellungen und nahm als Architektin und Friedensaktivistin an internationalen Kongressen teil. Sie war an der Planung des GLOBUS Druckerei- und Verlagshauses beteiligt. Im Auftrag der Stadt Wien plante sie zwei Wohnhäuser und zwei Kindergärten.
1970 übersiedelte Margarete Schütte-Lihotzky in die, von ihr geplante Wohnung mit Dachterrasse in der Franzensgasse in Wien. Die Sommermonate verbrachte sie in ihrem Haus in Radstadt. Sie schrieb an ihren Lebenserinnerungen. Vor allem war es ihr wichtig ihre Erinnerungen aus dem Widerstand festzuhalten, die als Buch 1985 erstmals erschienen.
In ihren späten Jahren erhielt sie zahlreiche Würdigungen, Preise und Ehrendoktorate, auch
wurde ihr 1993 das österreichischen Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst verliehen.
Im selben Jahr fand im Museum für angewandte Kunst in Wien die erste Ausstellung über das Gesamtwerk der Architektin statt „Margarete Schütte-Lihotzky – Soziale Architektur. Zeitzeugin eines Jahrhunderts“.
Am 18.Jänner 2000, 5 Tage vor ihrem 103.Geburtstag starb die Architektin in Wien.
Werke (Auswahl)
1921 Siedlung „Friedensstadt“, Wien 13, Hermesstraße 1-77 u. 85-89 (mit Adolf Loos)
1921-1922 Siedlung „Eden“, Wien 14, Knödelhüttenstraße, Edenstraße (mit Ernst Egli)
1922-1924 im Baubüro der österreichischen Verbandes für Siedlungs- und Kleingartenwesen (ÖVSK) Siedlerhütten, Siedlungshäuser, Kernhauses Type 4, Type 7, für die Kernhausaktion mit der GESIBA, Entwicklung der Spülkücheneinrichtung,
Warentreuhand
1924-1925 WHA d. Gem. Wien Otto Haas-Hof, Wien 20, Winarskystraße 18
1925 Einrichtung eines Zimmers für eine Dame, Wien 18 (seit 1993 im MAK Wien)
1932 Werkbundsiedlung, Wien 13, Woinovichgasse 2-4
1926-1930 am Hochbauamt in Frankfurt a. Main:
Reihenhaus-Typen, Grundrisse, Küchentypen, Schul- und Lehrküchen, Zentralwäscherei
Konzept für die Wohnung der alleinstehenden berufstätigen Frau
1930-1938 Sowjetunion Expertinnengruppe Ernst May: Entwürfe für Kindergärten und Kinderkrippen, Kinderklubs
1934 Reise nach Japan und China
1935-1937 Akademie Moskau: Kindermöbel für Wohnungen,
1938 Festturm Karaköy, Istanbul, TR (mit Wilhelm Schütte)
1938-1940 diverse Schulen in der Türkei
1946 Stadtbauamt Sofia Bulgarien: mehrere Kinderkrippen und Kindergärten
1947 Einfamilienhaus Hanakam, Radstadt, Salzburg
1948 Denkmal der Widerstandskämpfer, Wien, Zentralfriedhof (mit Wilhelm Schütte und dem Bildhauer Fritz Cremer)
1948 Mitarbeit an der Ausstellung „Wien 1848“
1948 Mitarbeit an der österr. Abteilung einer Frauenausstellung in Paris, F
1948 Kärntner Volksverlag, Klagenfurt, Ktn., Südbahngürtel 22 (mit Fritz Weber)
1950 KZ-Denkmal, Knittelfeld, Stmk., Bahnhofsplatz (mit Bildhauer Fritz Cremer)
1949-1950 Wohnhausanlage der Stadt Wien, Barthgasse 5-7, 1030 Wien (mit Wilhelm Schütte)
1950-1952 Dekoration der Volksstimmenfeste, Wien, Prater (mit Wilhelm Schütte)
1951 Autogeschäft für IFA-Fahrzeuge, Wien 1, Schubertring (nicht erhalten)
1952 Kindergarten „Friedrich Wilhelm Fröbel“, Wien 20, Kapaunplatz
1953 Kinderhaus der Glanzstoffwerke (Umbau), St.Pölten, NÖ, Mathias Corvinusstraße 2 / Herzogenburgerstraße 65 (nicht erhalten)
1952-1956 Wohnhaus der Stadt Wien, Schüttelstraße 3 / Helenengasse 1020 Wien
1953-1956 GLOBUS Druckerei u. Verlagsgebäude, Wien 20, Höchstädtplatz 3 / Meldemannstraße 12 (mit Wilhelm Schütte u.a.)
1961-1963 Kindergarten, Wien 11, Rinnböckstraße 47
1964-1968 Baukastensystem für Kinderheime (nicht realisiert)
Quellen
Nationale und Zeugnisse Margarete Schütte-Lihotzky aus Kunstsammlung und Archiv, Universität für angewandte Kunst Wien (Archiv UaK)
Renate Allmayer-Beck, Susanne Baumgartner-Haindl, Marion Lindner-Gross, Christine Zwingl; Peter Noever, MAK (Hg.): Margarete Schütte-Lihotzky. Soziale Architektur – Zeitzeugin eines Jahrhunderts, Ausstellungskatalog 1993, 2.Aufl., Wien 1996.
Sabine Plakolm-Forsthuber: Künstlerinnen in Österreich 1897 – 1938 Malerei – Plastik – Architektur, Picus Verlag, Wien,1994.
Eve Blau: Rotes Wien: Architektur 1919 -1934 Stadt-Raum-Politik, deutschsprachige Ausgabe AMBRA | V, Wien 2014 (Erstausgabe in englischer Sprache MIT 1999)
Uta Maasberg/ Regina Prinz: Margarete Schütte-Lihotzky – „Ich bin ein schrecklich systematischer Mensch“, in: dies.: Die Neuen kommen! Weibliche Avantgarde in der Architektur der 20er Jahre, Hamburg 2004, S. 61-67.
Frau Architekt. Seit mehr als 100 Jahren Frauen im Architekturberuf, Mary Pepchinski, Christina Budde, ua. (Hg.), Ausstellungskatalog Deutsches Architekturmuseum, Frankfurt am Main, 2017
Margarete Schütte-Lihotzky: Erinnerungen aus dem Widerstand. Das kämpferische Leben einer Architektin von 1938-1945, Wien, 2014.
Margarete Schütte-Lihotzky: Warum ich Architektin wurde, Hg. Karin Zogmayer, Wien 2019.
Margarete Schütte-Lihotzky. Architektur. Politik. Geschlecht. Neue Perspektiven auf Leben und Werk, Marcel Bois, Bernadette Reinhold (Hg.), Basel, 2019.
Margarete Schütte-Lihotzky Spuren in Wien, Christine Zwingl (Hg.), Wien 2021
Foto: Grete Lihotzky, 1921, Archiv UaK, Inv.Nr. F/56
Foto: Häuser in der Werkbundsiedlung, 2019, Ulrike Wieser © ulrikewieser.at
Text: Christine Zwingl
Februar 2022